Donnerstag, 30. Mai 2013

Sensitive Dinge

Semsitivität heißt Empfindlichkeit. Die Sensitivität mißt, wie empfindlich etwas ist. Wenn ich weiß, wie etwas sich durch den Einfluß von etwas anderem verändert, kann ich seine Sensitivität bestimmen. Nehmen wir mal eine beliebige Funktion (in der Abbildung unten in rot). An zwei Stellen dieser Funktion y=f(x) habe ich Tangenten angelegt (in schwarz). Sie zeigen an, wie sich die Funktion exakt an dem einen Punkt ändert, an dem ich schaue. Diese Tangenten zeigen die Sensitivität an, das heißt df(x)dx oder, näherungsweise, die Veränderung von y geteilt durch die Veränderung von x. Nichts anderes gibt die Sensitivität an. Die Klimasensitvität gibt an, wie sich die globale Temperatur der Erdoberfläche ändert in Abhängigkeit von einer Änderung eines Klimaantriebs, zum Beispiel des Antriebs durch die Änderung der Konzentration eines Treibhausgases in der Atmosphäre. Seit 1979 vermuten Wissenschaftler, dass eine Verdopplung des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre die globale Temperatur um ungefähr 3 Grad ändert. Plus minus einem Fehler. Anfänglich nahm man an, dass der Fehler vielleicht einen Faktor 2 ausmacht. Das wäre also eine Grenze von 1,5 bis 6 Grad. Inzwischen haben wir dazugelernt. Das Problem ist, dass jedes Mal, wenn wir etwas dazulernen, das Ergebnis ziemlich aus dem Zusammenhang der vielen Arbeiten zur Klimasensitivität gerissen wird. Wir sind vielleicht zu empfindlich für Empfindlichkeiten geworden. Darüber möchte ich heute erzählen:


Irgendeine Funktion y abhängig von x und zwei beliebige Tangenten an der Funktion, die zeigen, wie sich y abhängig von x an diesem Punkt ändert
In den Blogs (und nicht nur dort) ist in den letzten Monaten das Thema der Klimasensitivität heftig diskutiert worden. Zeitweilig litten Blogs und auch Medien unter dem, was als "Single publication syndrom" bezeichnet wurde - das absurde überbewerten einer einzelnen Publikation zu einem Thema. In der wissenschaftlichen Arbei tgibt es zwei Grundsätze, die man immer beachtet:

1. Eine einzelne Publikation kann fehlerhaft sein, sie muss erst von anderen Veröffentlichungen bestätigt werden.
2. Jede wissenschaftliche Erkenntnis muss mit allen anderen anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen harmonieren, sonst haben wir ein Problem - entweder ist die eine Publikation supergenial oder, viel wahrscheinlicher, fehlerhaft.

Nun haben wir seit 1979 eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich die globale Temperatur abhängig von einer Verdopplung der Kohlendioxidkonzentration ändert: sie sollte um ungefähr 3 Grad heißer werden. Ungefähr heißt, wir sind uns nicht sicher, wie der Wert genau aussieht. Vielleicht sind es nur 1,5 Grad, vielleicht sind es auch 4,5 Grad. Diese Unsicherheitsgrenze war mal weiter, erst durch viele Publikationen bzw. Arbeiten wurde sie eingegrenzt. 1,5 Grad wäre natürlich global deutlich harmloser als 4,5 Grad, die nach Katatstrophe riechen. Aber je mehr wir von den 3 Grad abrücken, desto weniger wahrscheinlich wird das Ergebnis. Die untere und die obere Grenzregion brauchen wir in unseren Erwartungen nicht mehr besonders zu berücksichtigen. Und 2, 3 oder 4 Grad bedeuten in jedem Fall mehr Veränderung des Klimas, als uns recht sein kann. Umso mehr, als wir ja nicht bloß von einer Verdopplung der Kohlendioxidkonzentration reden. Es gibt immerhin auch Beiträge anderer Treibhausgase. Und ob wir wirklich die Kohlendioxidkonzentration bei 560 ppm begrenzen können, wäre eine weitere offene Frage. Doch nehmen wir mal an, das Problem wäre wirklich, dass wir erwarten, dass sich der Klimaantrieb aus Treibhausgasen gegenüber dem vorindustriellen Wert verdoppelt, was voraussetzt, dass bereits wirksame Maßnahmen getroffen werden, um den Anstieg der Treibhausgase eines Tages zu begrenzen. Worüber reden wir dann?

Den Effekt der Verdopplung des Klimaantriebs allein können wir berechnen. Er beträgt knapp unter 1,2 Grad. Doch der Witz dabei ist, dass diese Erwärmung andere Effekte hervorruft. Zum Beispiel nimmt bei einer solchen Erwärmung die Atmosphäre mehr Wasser auf. Wasser hat aber selbst auch einen Treibhauseffekt. Zugleich kann sich die Bewölkung ändern. Es kann mehr oder weniger Wolken geben. In unteren Höhen würden sie die Reflektion von Sonneneinstrahlung erhöhen. In größeren Höhen würden sie hingegen die Rückstrahlung zur Erdatmosphäre und damit den Treibhauseffekt verstärken. Andere Effekte sind etwas komplizierter. Die feuchtere Luft enthält mehr latente Wärme, die in größeren Höhen wieder freigesetzt wird, indem Wasser auskondensiert und seine Verdunstungswärme wieder abgibt. Die Luft steigt dadurch noch höher, erwärmt höhere Atmosphärenschichten. Die wärmere Luft in größeren Höhen kann mehr Wärme in den Weltraum absteigen. Das wäre eine negative Rückkopplung.

Diese Effekte sind allesamt sehr schnell. Wenn wir nur solche schnellen Effekte berücksichtigen, auf einer Zeitskala von Tagen, Wochen oder Monaten nach einem Erwärmungseffekt durch einen Klimaantrieb, dann betrachten wir die transiente Klimasensitivität (transient climate sensitvity TCS), die Empfindlichkeit für Klimaantriebe in der Übergangsphase. Aber im Laufe der Zeit setzen weitere Rückkopplungen an. Und anscheinend sind die meisten weiteren Rückkopplungen positiv, verstärkend. Das heißt, wir finden weitere Klimasensitivitäten, und die sind größer, als die transiente. Am Ende erreicht das Klima ein neues Gleichgewicht - das kann Jahrhunderte dauern. Dann ist der Temperatureffekt maximal, die Klimasensitivität maximal. Wir sind aber eher daran interessiert, zu wissen, was in einem überschaubaren Zeitraum geschieht von, sagen wir, wenigen Jahrzehnten.

In diesem Zeitraum gelingt es, dass sich Klimaantrieb und Atmosphäre und die oberen Schichten der Meere in ein Gleichgewicht bringen, während die unteren Meeresschichten noch dabei sind, der globalen Erwärmung zu folgen. Diese Klimasensitivität nennt man Charney-Sensitivität. Oft redet man dann auch schon von der Gleichgewichtssensitivität (equilibrium climate sensitivity ECS), obwohl hier nochn icht alle Rückkopplungen erfasst sind. Zum Beispiel führt eine Erwärmung ja zu einem Abschmelzen von Eis. Das arktische Meereis reagiert anscheinend recht schnell, im Zeitraum von Jahren oder Jahrzehnten, auf Klimaänderungen. Ist es abgeschmolzen, absorbieren die Meere plötzlich mehr Wärme, die Temperatur steigt. Eine weitere positive Rückkopplung. Ähnlich sieht es mit Landeis und -schnee aus, wenn die Schicht nicht zu dick ist oder nur imWinter liegt. Ein Abschmelzen macht die Erde aus dem Weltraum gesehen etwas dunkler und damit besser geeignet, Sonnenlicht einzufangen und sich zu erwärmen. Doch das Abtauen der Eispanzer auf Grönland oder in der Antarktis geht viel langsamer, braucht eher Jahrhunderte. Damit haben wir ein Problem. Wenn wir versuchen, die Klimasensitivität zu bestimmen, indem wir aktuelle Klimadaten heranziehen und schauen, um wieviel die Wärmemenge der Erde zunimmt, wenn wir die Treibhausgaskonzentrationen etwas steigern, kommen wir zu einer anderen Klimasensitivität als wenn wir in die ferne Vergangenheit schauen und untersuchen, um wieviel sich die Temperatur während und nach einer Eiszeit unterscheiden in Abhängigkeit von der effektiv aufgenommenen Menge an Wärme von der Sonne während dessen und nach der Eiszeit. Im letzteren Fall kommen deutlich mehr Rückkopplungen hinzu.

Ich vermute, dass man aus den paläontologischen Temperaturdaten auf die gleiche Gleichgewichtsklimasensitivität ECS umrechnen kann wie aus den aktuellen Temperaturdaten, aber letztlich droht doch, dass man je nach Methode zu systematisch etwas anderen Sensitivitäten kommen kann. Auf jeden Fall hat man aber, je nach Methode, andere Unsicherheiten und damit unterschiedliche Möglichkeiten, untere und obere Grenzen der Klimasensitivität zu bestimmen. Deshalb ist es so wichtig, die Klimasensitvität aus unterschiedlichen Methoden zu bestimmen und so unsinnig, wenn eine einzelne neue Studie zur Klimasensitvität herauskommt, daraus zu weitreichende Schlüsse zu ziehen. Erst die Gesamtschau vieler, methodisch verschiedener Arbeiten zur Klimasensitivität ermöglichen es, zu verstehen, wie empfindlich die globale Temperatur für Änderungen des Klimaantriebs ist.

Nun ist da kürzlich in Nature Geoscience eine Arbeit einer Reihe renomierter Forscher herausgekommen (Alexander Otto, Friederike E. L. Otto, Olivier Boucher, John Church, Gabi Hegerl, Piers M. Forster, Nathan P. Gillett, Jonathan Gregory, Gregory C. Johnson, Reto Knutti, Nicholas Lewis, Ulrike Lohmann, Jochem Marotzke, Gunnar Myhre, Drew Shindell, Bjorn Stevens & Myles R. Allen: Energy budget constraints on climate response), die mit Hilfe neuer Temperaturdaten (Änderung der Temperatur zwischen einem Zeitraum Ende des 19. Jahrhunderts und je einem Jahrzehnt zwischen 1970 und 2010, Änderung des Wärmegehalts der Erde und Klimaantrieb in diesem Zeitraum) die transiente und die Gleichgewichtsklimasensitvität bestimmt hatten. Der Wert von ca. 2 Grad für eine Verdopplung der CO2-Konzentration liegt zwar etwas niedriger als die Konsensschätzung des IPCC von ca. 3, das ist aber der Methode entsprechend und gut vergleichbar mit anderen Schätzungen auf Basis aktueller Temperaturmessungen. Mit der Spanne der wahrscheinlichen Werte (zentrale 90% der Werte) von 1,3 - 3,9 liegt man nicht weit von der Schätzung des letzten IPCC-Berichts von ca. 1,5 - 4,5 Grad. Wenn man in die Arbeit von Otto et al. schaut, sieht man, dass mit dieser Methode vor allem die Abschätzung des Aerosoleffekts erheblichen Einfluß auf den Wert der Klimasensitivität und die Unsicherheitsspanne hat. Das scheint eine wichtige Schwachstelle der Methode. Man sollte dabei nicht vergessen, dass im IPCC-Bericht nicht einfach ein Mittelwert aus allen Arbeiten zur Klimasensitivität berechnet wird, sondern eine informierte Schätzung der wahrscheinlichsten Werte aus den unterschiedlichen Methoden hergestellt wird. Daher ist es unsinnig, so zu tun, als ob die eine Arbeit von Otto et al. nun eine Änderung des wissenschaftlichen Konsenses darstellt. Und abgesehen von einer stärkeren Abgrenzung der Klimasensitivät an der oberen Grenze, was sich schon seit Jahren in vielen Arbeiten andeutet, hat sich wenig an den Werten getan. Ein Sachverhalt, den Prof. Rahmstorf in seinem Blog hervorhebt.

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